Willkommen zurück.
Dieser Text ist eine Fortsetzung meines sehr ausführlichen Artikels vom letzten Oktober. Diesen findet Ihr hier:
Oktober 2020, Zurück in Dresden – Viele Bilder & ein paar Gedanken

Ich war nun erneut für ein paar Tage in der großen Stadt an der Elbe und habe dabei weitere – auch neue – Eindrücke gesammelt. Die gesamte Galerie findet Ihr dieses Mal am Ende des Textes.
Viel Spaß bei dieser weiteren (Gedanken-)Reise.

Ich möchte das Ganze ein wenig thematisch ordnen und in vier Teile gliedern.
Beginnen wir mit einem der großen Neubaugebiete der Stadt – Prohlis. Entstanden in den späten 1970-er und frühen 1980-er Jahren war es in meiner frühen Kindheit ein Sehnsuchtsort. Moderne Wohnungen mit viel Ausstattung und Fernwärme. Ein krasser Kontrast zum Altbau mit Kohleofen in dem ich damals wohnte. Und das nur einen Steinwurf entfernt. Während meiner Dresdner Jahre kam ich in den Genuss, verschiedenste Wohnung der DDR-Fertigteile-Ära besuchen zu dürfen. Damals und heute gab es dafür zwei Begriffe: das eher ehrfürchtig-sehnsuchtsbeladene, bereits erwähnte, “Neubaugebiet” und das abwertende “Plattenbausiedlung”. Gerade ersteres Wort war bei mir damals in Gebrauch. Ich war häufig in Leuben zu Gast bei meinen Großeltern väterlicherseits. Eine recht geräumige und eher helle 2-Zimmer-Wohnung mit winzigem Badezimmer, ebenso winziger Küche und riesigem Wohnzimmer mit Balkon davor. Sehr angenehm und mit Wohlfühlfaktor, vielleicht auch wegen der modernen Ausstattung. Ein besonderes Detail waren und sind dort die Drück-Lichtschalter, die so mehr Funktionen erfüllen konnten, als das klassische “Ein|Aus” von Kipplichtschaltern. So ließen sich mehrere Lampen eines Raumes steuern. Irgendwie angenehm und praktisch, aber doch gewöhnungsbedürftig. Letzteres galt auch für die Küche, die vielleicht 4m² misst und zum Wohnzimmer mittels Durchreiche verbunden ist. Platz war dort für höchstens 3 Personen, die sich dann allerdings sehr nahe kamen und öfter mal im Weg standen. Erlebt habe ich das bei einigen Familienfeiern in großer Runde. Auch in Seidnitz war ich als Kind recht oft. Dort war der Grundriss identisch und um ein (Kinder-)Zimmer erweitert. Weniger Erinnerungen habe ich an die Besuche in Gruna und eben Prohlis. Allen Wohnungen war allerdings das riesige Wohnzimmer mit Miniküche und Durchreiche gemein.
Während ich so an diesem Text schreibe, beginne ich ein wenig zu recherchieren um welche Gebäudetypen es sich dabei gehandelt haben könnte. Recht schnell wird klar, dass es eben nicht der – DDR-weit so verbreitete und quasi Standard-Typ “WBS-70” – sein konnte. Bei diesem liegen die Küchen außen und haben ein Fenster. Bei all dem, was ich erlebt habe waren die Küchen stets innen. Also muss es sich um den früheren Typen “P2” oder eine Abwandlung desselben handeln. Dem ist auch so. Dazu gibt es im Stadtwiki von Dresden einen Artikel, der meine Vermutung bestätigt.
Es ist über 20 Jahre her, dass ich das letzte Mal in einer solchen Neubauwohnung war. Nun war es wieder soweit, bedingt durch den Umzug meiner Mutter in eine solche kleine Wohnung in Prohlis. Es fühlt sich dennoch komisch an, auch wenn ich selbst in einem Wohngebiet der 70-er und 80-er wohne. Hauptunterschied zwischen dem Emmertsgrund und Prohlis ist der Abwechslungsreichtum. Hier bei mir gibt es sehr verschiedenartige Wohngebäude, vom kleinen 2-3 geschossigen Reihenhaus bis zu 15-geschossigen Punkthochhäusern – alle in doch unterschiedlicher Architektur. Dazu gibt es einige spezielle Treppen-Hochhäuser, was der Topografie des Stadtteils geschuldet ist, der an einem leicht ansteigenden Hang liegt und durch die Häuser architektonisch aufgegriffen wir.
Prohlis ist… monoton. Und grau. Und doch irgendwie grün. Das trifft auf den Emmertsgrund aber noch wesentlich stärker zu. Die langen Fassaden schrecken ab, mögen sie auch durch die Modernisierungs- und Umbauarbeiten der Nachwendezeit entschärft worden sein. In mir macht sich trotzdem Unwohlsein breit. Bedingt mag das vielleicht auch durch meine Gymnasialzeit sein, wo ich am Nordostende von Prohlis eine der vielen Typenschulen besuchte und den restlichen Stadtteil weitgehend mied. Schwer zu beschreiben das alles. Deshalb möchte ich ein paar Bilder von Prohlis zeigen.

Prohliser Allee - Grau und Grün

Mein Sinnbild für ein Neubaugebiet. Diese 10-geschossige Häuserzeile erstreckt sich über 300 Meter entlang der Prohliser Allee. Die Bäume sind nach gut 40 Jahren recht imposant geworden.
Es gibt noch einige Wohnblöcke, die nur wenig oder garnicht saniert wurden und den klassischen DDR-Charme haben, so wie an der Finsterwalder Straße.

Aus der Zeit gefallen

Der Zahn der Zeit hat an den Häusern genagt. Die omnipräsente Kieselsteinstruktur der Platten ist gut zu erkennen. Und der Anblick dieser Fassade macht mich traurig. Vermutlich wohnen in diesen wenig-/unsanierten Blocks eher Menschen, die finanziell sehr schlecht dastehen und froh sind, überhaupt eine Wohnung zu haben. Die typischen DDR-Gardinen, die sich im vorletzten Geschoss zu erkennen sind, bestätigen diesen Eindruck.
Spazieren wir weiter durch Prohlis…

Ladenpassage im modernisierten Block

Überall Platten. Und so gut wie keine Menschen. Es wirkt so leer und einsam. Es wirkt abstoßend und monoton, trotz der vielen Bäume.

Prohliser Dreiklang aus langen Häuserblocks, einer Typenschule und den Punkthochhäusern

Auch hier sehe ich keine Menschenseele. Einsamkeit in der Großstadt.
Markant sind die 16-geschossigen Punkthochhäuser, anhand derer Prohlis sehr gut im Elbtalkessel zu finden ist. Gerade nachts fallen sie durch die beleuchteten Treppenhäuser auf – selbst von den 15 Kilometer entfernten Radebeuler Weinbergen.

16-Geschosser am Albert-Wolf-Platz

Der allmorgendliche Anblick während meiner Gymnasialzeit. Und immer noch sehr präsent in meinen Erinnerungen.

Der Spaziergang geht langsam zuende. Ein paar Lichtblicke möchte ich Euch abschließend noch zeigen. Zuerst ein Bild mit einer eher ungewöhnlichen Geschichte und Bezug zu einer weit entfernten Stadt. Ihr erinnert Euch vielleicht noch an dieses Bild aus dem August 2019:

Vasaparken, Blick auf die Balkonlandschaft von Kristinelundsgatan

Verspielte Gründerzeitarchitektur in Göteborg. Knapp zwei Jahre setze ich die Idee in Prohlis um:

Prohliser Balkonlandschaft

Größer könnte der Kontrast kaum sein.
So ganz unbelebt ist es dann aber doch nicht. Das Neubaugebiet mit seinen vielen Bäumen bietet Unterschlupf und Nistplätze für viele Vögel. Diese besuchen dann auch häufig die Balkone.

Gefiederter Balkonbesucher

Gerade in den Morgen- und Abendstunden ist der Gesang sehr präsent und bringt Abwechslung.

Es gibt weitere Überbleibsel aus der Entstehungszeit von Prohlis – schnöde und doch schöne Straßenlaternen; ein besonderes Stück DDR-Industriedesign.

DDR-Design

Ein Stück Dresdner Geschichte und DDR-Designs findet sich nach langer Zeit in der Versenkung am Albert-Wolf-Platz – der, von Leonie Wirth gestaltete, Pusteblumenbrunnen.
Während meiner Kindheit und Jugend standen sie auf der Einkaufsmeile Prager Straße im Zentrum und sind ein prägender Teil meiner Erinnerungen. Im Zuge des Umbaus der Straße nach 2000 verschwanden einige dieser Brunnen. Und wurden erst 2009 am heutigen Standort aufgestellt. Leider ist der gesamte Bereich um die Brunnen eher wenig einladend. Trotzdem sind sie ein Kleinod der Stadt, das es zu entdecken gilt und lohnenswert ist ein Besuch allemal. Hier gibt es etwas mehr zu den Pusteblumen.
Nachfolgend drei Bilder:

Den zweiten Teil widme ich meiner alten Schule, bzw. dem, was daraus geworden ist.
In meinem letzten großen Text habe ich bereits ein paar Eindrücke geschildert und die Entwicklung des Geländes ein wenig beleuchtet. Bei einem längeren Spaziergang durch Prohlis wollte ich nun sehen, was mit dem recht großen Gelände in den letzten 20 Jahren passiert ist. So viele Erinnerungen hängen daran. Immerhin war die für 8 Jahre mein zweites Zuhause. Unzählige Stunden habe ich im Gebäude, auf dem Schulhof, in der Sporthalle und auf dem Sportplatz verbracht. Alles nahezu vergessen und ins Dunkel meiner eigenen Geschichte verschwindend. Und das deckt sich auffallend mit dem Ist-Zustand der Anlage im Sommer 2021. Statt Dunkelheit holt sich die hiesige Flora das Gelände zurück und verdeckt das Gewesene. Einzig Erinnerungen bleiben an die vielen Jahrgänge, die hier über mehr als 20 Jahre für ihr Leben lernten. Der Abschied als Gymnasium war im Sommer 2004. Die Sächsische Zeitung berichtete damals darüber. In diesem Artikel wir auch Frau Neumann erwähnt, die mich während meiner gesamten Gymnasialzeit begleitete und die ich bis heute in guter Erinnerung habe. In den DNN von September 2015 findet sich ein kurzer Abriss über die Zeit danach und was damals geplant war. Diese Pläne wurden nicht umgesetzt und schließlich im Sommer 2017 begraben, wie die SZ berichtete. Schade. Seitdem ist wenig passiert. Das Gelände und die Gebäude vom Typ “Dresden Atrium” verfallen langsam.

Auf dem Sportplatz entdecke ich ein einsames Tor zwischen den sprießenden Pflanzen.

Überreste auf dem Sportplatz

Gut zu erkennen sind die unterschiedlichen Farben des Untergrundes. Die Rosatöne zeugen von der früheren Aschebahn auf der ich unzählige Sprints absolvierte und nicht weniger oft zu Langstreckenlauf antreten durfte. Gemocht habe ich das weniger. Dahinter ist die Sporthalle zu erkennen, die in den späten 90er Jahren mit einem modernen Hallenboden ausgestattet worden war. Ich erinnere mich dabei noch an die damalige Ansage “Bitte nur mit abriebfesten Schuhen betreten!”. Trotzdem lag immer ein Hauch von DDR über und in der Halle, was auch an den Sportgeräten zu erkennen war.
Die folgenden beiden Aufnahmen zeigen einen Blick in den riesigen Schulhof vor den beiden, versetzten, Gebäudeteilen:

Grün & Grau No. 1
Grün & Grau No. 2

Ich erinnere mich an die eher kleinen Bäume, die auf Grün-Inseln wuchsen und die zubetonierte Fläche auflockerten. Die Bäume sind mittlerweile recht stattlich, der Beton aufgebrochen und von Wildwuchs langsam überwuchert. Dieser Anblick macht mich ein wenig traurig und fasziniert doch irgendwie. Gerade der einsame Gartenstuhl lässt viel Raum für eine Hintergrundgeschichte. Ein Stuhl  mitten in der Natur und doch in einer Betonwüste. Kontraste und Brechungen. Im oberen der beiden Bilder ist der früher Hauptzugang zum Schulhof vage zu erahnen. Die Fenster, die wohl noch im Originalzustand der späten 70er/frühen 80er Jahre sind bieten einen kleinen Einblick in die dahinterliegenden früheren Klassenräume. Einfach und doch durchdacht diese industrielle Schulbauweise, die lange das Bild der Neubaugebiete in der Stadt prägte und es bis heute tut. In der Stadtwiki Dresden gibt es einen umfangreichen Artikel zu diesem typisch Dresdener Schultyp mit geschichtlichen Hintergründen.

Seitenwechsel. Ich bin wieder zurück auf der Vorderseite; stehe auf dem riesigen Vorplatz voller Stolperfallen. Dabei entsteht dieses vielsagende Bild, das ich auf Kniehöhe aufnehme:

Wildwuchs zwischen Platten

Im Herbst 2020 schrieb ich folgende Zeilen zu meinen damaligen Eindrücken: “Die Steine werden langsam überwuchert und doch fühlt es sich tot an. Das Leben ist von diesem Platz gewichen. Beim Anblick stieg tiefe Trauer in mir auf. Ich bin gespannt, was aus dem Gelände werden wird.”
An diesem Gefühl hat sich wenig geändert. Trauer schwingt mit. Gerade das Leblose trifft perfekt. Hoffnung, dass sich an der Situation recht bald was ändern wird habe ich kaum. Früher oder später wird das Gelände so verfallen sein, dass sich eine Instandsetzung kaum noch lohnen würde. Es scheint alles auf Abriss und Neubau hinauszulaufen. Dresden wächst, die Schülerzahlen steigen seit Jahren. Die Stadt braucht neue Schulen, gerade in einem so großen Stadtteil wie Prohlis. Ich werde das Ganze aus dem Augenwinkel mitverfolgen.
Zum Abschluss dieses Kapitels ein Blick zum früheren Schulgarten und dem Teil des Gebäudes, in dem sich über mehrere Jahre mein Klassenzimmer befand – oberhalb der dunklen Wandbemalung.

Rückblick

In diesem dritten Teil nehme ich Euch zu einer kleinen Besonderheit Dresdens mit. Mit dieser Besonderheit verbinden mich einige Jahre meiner Jugend. Es geht um die Parkeisenbahn die ihre gut 5,5-Kilometer lange Runde im Großen Garten dreht. Das nachfolgende Bild zeigt mich um 1994 am Straßburger Platz in Uniform – stolz darauf, ein Mini-Eisenbahner zu sein.

Ganz in Blau

Meine Zeit bei der Parkeisenbahn währte etwa 4 Jahre – von Herbst 1991 bis Herbst 1995. Die Erinnerungen daran sind teilweise sehr verblasst. Sie beginnen in einer alten Villa gegenüber der Paluccaschule; mit allwöchentlichen Spaziergängen von der Straßenbahn dorthin und wieder zurück, oft bei Dunkelheit. Und sie beginnen mit viel Geschichte. Es war die Zeit des Umbruchs. Die DDR hatte ein gutes Jahr vorher aufgehört zu existieren. Von heute auf morgen wurden Spuren verwischt und Zeugnisse dieser vergangenen Zeit beseitigt. Gerade bei früheren staatlichen Institutionen war dies nicht so einfach. Und ich nutze den Begriff “staatlich” sehr bewusst. Die Parkeisenbahn hieß bis 1990 “Pioniereisenbahn” und war der DDR-Jugendorganisation unterstellt. In so kurzer Zeit konnten keine neuen Dokumente und Handbücher gedruckt werden, keine neuen Uniformen beschafft werden. Stattdessen riss man Seiten heraus und entfernte Symbole. noch heute besitze ich das “Handbuch des Pioniereisenbahners” das ich damals bei meinem Eintritt bekam und in dem sich die Grundlagen befinden. Heute ist es ein historisches Dokument, das doch noch im Alltag der heutigen Parkeisenbahner angewendet werden könnte. Denn an der Grundstruktur dieser Bahn hat sich wenig getan. Noch immer existiert das System der Betriebsabläufe, das in den 1950-er Jahren entstand.
Im Winter war Schulung angesagt, im Sommer die “Arbeit” bei der Eisenbahn – beides einmal wöchentlich. Nach dem ersten Winter startete ich am Haltepunkt “Karcherallee”, das Jahr darauf wechselte ich zum Bahnhof “Carolasee”, um 1994 meinen Dienst am Startpunkt “Straßburger Platz” zu verrichten und das letzte Jahr am Dreh- und Angelpunkt “Zoo” zu verbringen. Ein klassischer Aufstieg, der Jahr für Jahr mit mehr unterschiedlichen Diensten verbunden war. Am Zoo ging meine Zeit bei der Bahn auch zuende. Ich hatte andere Interessen und die Schule wurde wichtiger.
2003 besuchte ich meine ehemalige Wirkungsstätte zum ersten Mal. Der alte Bahnhof am Straßburger Platz war der Piëch’schen “Gläsernen Manufaktur” gewichen und etwas weiter südlich neu errichtet worden. Damals wirkte alles noch sehr neu. Ein Grund nach langer Zeit wieder einen Besuch zu machen.
Die Pandemie sorgt für Einschränkungen. Mein Ursprungsplan, nur einen Teil der Runde zu fahren, muss ich begraben. Entweder Rundfahrt oder nichts. Zudem fährt nur ein einziger Zug, was zu recht langen Wartezeiten führt. So vergeht eine gute halbe Stunde ehe ich den modernen Bahnhof betreten darf. Nach dem Ticketkauf geht das Warten weiter. Alsbald nähert sich ein vertrautes Stück Technik auf dem Nachbargleis.

Alles in einem Bild

Die EA01, ein Stück DDR-Technikgeschichte und Industriedesign aus den 60er Jahren. Schon damals war es möglich, aus gespeichertem Strom Bewegung zu erzeugen – ein Thema, das in den letzten Jahren immer wichtiger wird. Nachdem die zurückkehrenden Mitfahrer den Zug verlassen haben, dreht der Minizug eine Runde durch die Wendeschleife um zum Hauptbahnsteig zurückzukehren.

Einfahrt!

Auf diesem Bild sind die Dimensionen der Eisenbahn gut zu erkennen. Die Spurweite beträgt gerade einmal 381 Millimeter. Lok und Wagen sind nur etwas mehr als einen Meter breit.
Meine Begleitung und ich steigen zu. Wir setzen uns recht weit hinten in einen der überdachten Wagen. Diese kamen erst nach meiner Zeit dazu und entstanden aus den 4-achsigen Standardwagen. Gut bei schlechtem Wetter oder zuviel Sonne. Wie oft habe ich bei Regen in einem der offenen Wagen als Zugbegleiter gesessen und mir ein Dach gewünscht.
Es geht eng zu, das war mir kaum noch bewusst. Zwei Erwachsene finden gerade so nebeneinander Platz. Die Beinfreiheit ist sehr beschränkt. Ich bin froh, dass wir nur zu zwei in einem Abteil sitzen und uns niemand gegenüber sitzt. Denn meine langen Beine brauchen den Platz.

Abfahrt!

Um kurz nach eins beginnt die Fahrt. Der Zug ist gut gefüllt –so wie es die Corona-Regeln zulassen. Es fühlt sich komisch an. Vertraut und doch fremd. Die Schienenstöße sorgen für ein monotones und rhythmisches Geklacker – Dudumm-Dudumm, Dudumm-Dudumm. Leichter Fahrtwind umweht meine Nase. Die Bäume des Großen Gartens sorgen für viel Schatten. Auf den Wiesen ist Hochbetrieb. Die Stadt ist in ihrer Wohlfühl-Oase unterwegs. Familien mit Kindern, junge Menschen. Bald erreichen wir den Zoo. Mit Langsamfahrt passieren wir den Bahnhof. Kaum was los in der Schaltzentrale. Es ist vertraut. Die Zeit scheint still zu stehen; dieselben geduckten Gebäude; alles wie damals, bis auf die modernisierten Wagen. Weiter geht es zum Carolasee. Auch hier hat sich gefühlt wenig geändert. Der Bahnhof ist geschlossen, die Schranke oben. Als Knirps durfte ich hier oft an dem schweren Rad drehen um den Weg zu versperren und den Zügen die Passage zu ermöglichen.
Auch auf dem namensgebenden See ist viel los. Familien genießen die Abkühlung des Wassers, der Springbunnen in der Seemitte schießt kleinste Tröpfchen in die Luft.

In einer langgezogenen Rechtskurve kann ich den Zug in fast gesamter Länge in Szene setzen. 

Minizug

Wir passieren meine allererste Wirkungsstätte an der Karcherallee. Alles so winzig und unscheinbar; hutzelig. Und doch irgendwie trist und kahl. Ich weiß nicht recht, wie ich das beschreiben soll. Es fällt mir schwer. Es ist dieses Lavieren zwischen dem Damals und dem Heute; zwischen den Erinnerungen und den neugierigen Beobachtungen; zwischen dem Mittendrin und dem Abstand von fast 30 Jahren.

Haltepunkt an der Karcherallee

Lebendige Geschichte. Gerade diesem Knirps vor mir mit seiner blauen Mütze wünsche ich, dass er erzählt bekommt, was es mit dieser Eisenbahn auf sich hat. Dass er gerade eine Zeitreise macht; dass er das Faszinierende an dieser 70 Jahre alten Eisenbahn erkennen kann – einem lebendigen Denkmal aus einer anderen Zeit und aus einem anderen Land. Dass es etwas ganz besonderes ist, gerade in diesem Moment in diesem Zug zu sitzen.
Ich genieße. Das sanfte Klackern der Schienenstöße ist wie Musik. Vorfreude vor Geschwindigkeit entlang der Hauptallee. Es war früher immer ein leichtes Achterbahngefühl hinter dem Bahnhof “Karcherallee”. Abbremsen vor der Linkskurve und dann mit Volldampf Richtung Mitte des Großen Gartens. Heute wohl eher nicht. Oder nehme ich mit diesem zeitlichen Abstand Geschwindigkeit anders wahr? Gut möglich. Oder aber es geht heute doch mit gemächlichem Tempo voran. Wer weiß.
Wir passieren den Palaisteich und ich lege das nächste Ziel des Tages fest. Dazu mehr im letzten Teil. Wenige Minuten später sind wir zurück am Zoo und passieren die Wagenhalle und den Lokschuppen. Viele Gleise, viele Fahrzeuge.

Wagenhalle am Zoo

Den letzten Kilometer zum Straßburger Platz bin ich nochmals im vollen Genießermodus. Gedanken fliegen umher. Ich sauge die vielen Eindrücke wie ein Schwamm in mich auf. Ich weiß, dass es eine Ganze Weile dauern wird, das Alles zu verarbeiten. Es werden mehr als vier Wochen…
Die letzten Meter in der Minieisenbahn. Am Start- und Endpunkt öffne ich die Metallkette des Abteils und verlasse langsam den Wagen und die Anlage. Ein letzter Blick auf die moderne Architektur der “Gläsernen Manufaktur”.
Mein 12-jähriges Ich spaziert überglücklich von Dannen. Mein 39-jähriges Ich schweigt…

Moderne Manufaktur

Im vierten und letzten Teil wechsle ich zurück in den außenstehenden Beobachter, eine Rolle in der ich mich sehr wohl fühle.
Nach einem kurzen Abstecher zum Altmarkt fahren wir mit der Straßenbahn zurück zu Großen Garten. Über die Querallee geht es gen Palais. Erneut erhasche ich einen Blick auf den Carolasee.

Sommeridyll

Der Große Garten ist voller Sichtachsen. Mit einfachen Mitteln lässt sich Weite erzeugen und gleichzeitig verdichten. Die Querallee zieht sich als breiter Betonstreifen durch die Parkanlage. In der Ferne blitzt das massive Palais als Blickfang auf.

Weite Sichtachse

Erneut begegnet mir die Parkeisenbahn, deren Mini-Schienen ich zweimal kreuze. Beim ersten Mal passiert uns gerade der Zug, sodass wir uns eine schattige Bank suchen und auf dessen Rückkehr warten. Ich will die Möglichkeit nutzen um ein paar Bilder als Beobachter zu machen. Das gelingt sehr gut und lässt mich Eisenbahn und Großen Garten in Szene setzen.

Das Palais in der Mitte des Großen Gartens hat schon früher eine merkwürdige Faszination auf  mich ausgeübt. Damals wirkte es auf mich beängstigend; eine verfallende Ruine, kein Platz zum Wohlfühlen. So wirklich dahin getraut habe ich mich früher nie. Erst durch einige Seiten, die sich mit der Stadtgeschichte befassen, habe ich Zugang gefunden; Neugier und Interesse an diesem wuchtigen Barockbau. Er ist der früheste in ganz Dresden. Der Wikipedia-Artikel zeigt sehr ausführlich dessen Geschichte. Ich fühle mich wohl. Architektur und Geschichte sind meins. Und gerade das Barock hat meiner jetzigen Heimatstadt Heidelberg seinen unübersehbaren Stempel aufgedrückt.
Die nachfolgende Galerie zeigt die vielen Facetten der Anlage mitten im Großen Garten.

Diese Bilder sprechen für sich. Die kleinteilige Barockarchitektur ist besonders und doch prägend für Dresden.

Der Park ist belebt. Überall Menschen.
Und viele Vögel, so wie dieser Rabe, der gemütlich über die Wiese spaziert. 

Sonntagsspaziergang

Nach dem Durchqueren des Großen Gartens möchte ich noch an die Elbe. Möchte den vertrauten und doch neuen Blick vom Waldschlösschen über die Stadt erhaschen. So fahren wir mit dem Bus durch Gruna, Striesen und Johannstadt zur Brücke; passieren währenddessen die Medizinische Akademie.
Von der Bushaltestelle auf der Brücke führt ein kleine Pfad hoch zum Waldschlösschen mit einem Pavillon.
Die neue, doch unscheinbare, Brücke mit den Türmen der Stadt dahinter. Passend dazu fährt ein Schaufelraddampfer der “Weißen Flotte” flussabwärts.

Zum Abschluss geht es nach Blasewitz an den Schillerplatz. vom “Blauen Wunder” schweift mein Blick über die Elbe zum Fernsehturm.

Turm und Fluss

Ein Sommertag geht zuende; ein Wochende in Dresden.

Diese Reise fühlt sich unmittelbarer und direkter an als die letzte. Das Schwanken zwischen dem Damals und dem Heute ist sehr stark. Ich nutze diese Zeilen um meinem Inneren seinen Raum zu geben; um zu verarbeiten. Um Nähe und Distanz zu schaffen. Ich merke, dass da noch viel unverarbeitet ist; merke, dass es mir nun etwas besser geht.
Es ist einfacher aus 500 Kilometern Entfernung darauf zu blicken, zu wissen, dass da viel ist und dass doch das Jetzt im Hier ist. Diese Zeilen mögen irgendwas abschließen. Gleichzeitig bieten sie Raum für Neues. Bei der Recherche zu diesem Artikel bin ich auf die Seite das-neue-dresden.de gestoßen, die sich mit der städtischen Architektur des 20. Jahrhunderts beschäftigt. Ich entdecke dabei viele Neues und doch teilweise Altbekanntes; entdecke die Stadt für mich neu. Und ich kann dabei wunderbar in der Beobachterrolle des Außenstehenden bleiben. Bei einem meiner nächsten Besuche, werde ich bewusst bestimmte Orte aufsuchen, zu denen mein Dresden-Ich wenig bis keinen Bezug hat. Ich will und werde die Stadt neu für mich entdecken.

Danke, dass ihr mich auf dieser Reise begleitet habt.

Bis bald.

— SnusTux|René M. – 27/07-2021