Willkommen zu einer kleinen Zeitreise durch Dresden.
Zuerst die Bilder  in chronologischer Reihenfolge. Darunter folgen ein paar Gedanken.

Bilder 1–5: November 2005 und 2007, damals noch mit einem pixeligen Kamera-Telefon (SonyEricsson K750i/K810i) aufgenommen.

Bilder 6–9: Juli und November 2010, nun mit einer brauchbaren Digitalkamera (Panasonic TZ-10) unterwegs.

Bilder 10–15: November 2012, ab jetzt mit professioneller D-SLR (meiner geliebten “Alten Dame” Nikon D300s) in der Stadt.

Bilder 16–18: März und November 2014.

Bilder 19–20: November 2016.

Bilder 21–29: Dezember 2018.

Bilder 30–36: Januar 2020.

Bilder 37–78: Oktober 2020

Es sind nun über 20 Jahre vergangen seitdem ich Dresden verlassen habe – seitdem ich die Heimat meiner Kindheit verlassen habe.

Ich habe während meines Studiums fast 3 Jahre in Kiel gewohnt; habe etwa ein Jahr in Schweden verbracht (Göteborg und Karlstad, sowie während vieler Reisen) und bin seit langem in der Rhein-Neckar-Region verwurzelt – seit September 2018 direkt in Heidelberg. Das sind nun aufsummiert auch schon fast 17 Jahre – trotzdem doch weniger als die 18 ½ Jahre in Dresden.

Meine letzte Reise in die Stadt an der Elbe hat mich zum Nachdenken gebracht. Zum Einen fand das 20-jährige Treffen meines Abiturjahrgangs statt, zum anderen war eben dieses Treffen an einem ganz besonderem Tag, dem 03. Oktober – Tag der Deutschen Einheit. Bereits 10 Jahre zuvor lag das Treffen in dieser Zeit; ich fuhr am 03. Oktober von Dresden zurück nach Heidelberg. Auch damals ging mir eine Menge durch den Kopf, aber ich war noch nicht bereit, das aufzuschreiben. Das hat sich nun geändert. Viel hat sich geändert. Vieles hat sich verändert – in der Stadt und in meiner Gedanken- und Lebenswelt.

Aber von vorn:
Es ist heute kaum noch vorstellbar, wie die Situation im Dresden des Jahres 2000 war. Es war… nichts. Die Stadt lag gefühlt am Boden. Viele wollten weg. Trotz einiger wirtschaftlicher Investitionen (u.a. AMD und Siemens/Infineon) gab es wenig Arbeit in der Stadt. Die großen Unternehmen der DDR-Zeit waren verschwunden. Ich erinnere mich da besonders an zwei: Die Gasanstalt in Dresden-Reick und das Milchwerk in Niedersedlitz, die Arbeitsstätten meiner Eltern bis in die frühen 90er Jahre. Weg, alles weg. Der große Metall-Gasometer (ähnlich dem Oberhausener, nur wesentlich kleiner), eine Landmarke meiner Kindheit, wurde 1992 gesprengt. Die anderen Gebäude verfielen. So erging es auch dem Milchwerk, das direkt neben unserem Wohnhaus lag. Anfang der 90er Jahre wurden die Produktionsgebäude abgerissen, das Verwaltungsgebäude verfiel noch lange. In dieser Ödnis wuchs ich auf. In der Innenstadt hielt derweil die Postmoderne Einzug und versuchte das Stadtbild der DDR langsam zu überdecken oder gar verschwinden zu lassen. Die Ruine des Taschenbergpalais wurde rekonstruiert und zu einem Nobelhotel. Am Schloss wurde weitergebaut. Ab 1995 begann der Neubau der Frauenkirche nach historischem Vorbild und der ach so prägende Schuttberg mit den zwei Mauerresten im Zentrum verschwand. Entlang der Prager Straße entstanden Einkaufstempel, außerhalb große Gewerbegebiete, an den Einfallstraßen Autohäuser. Konsum. Und doch wenig Arbeit.

Da kam es gerade recht, dass meine Eltern Mitte 2000 die Chance hatten – und ergriffen – in die Rhein-Neckar-Region zu ziehen. Hier war Arbeit. Ich hatte soeben mein Abitur in der Tasche und kam mit. Wir zogen in das Odenwalddorf Wilhelmsfeld, direkt neben Heidelberg. Ich wollte in den „Westen“, wollte raus aus der miefigen Stadt, wollte am liebsten mein komplettes früheres Leben hinter mir lassen. Ich hatte keine Lust mehr auf Dresden.

Und hier beginnt nun die Geschichte.
Ich habe zuerst in meiner Bilder-Datenbank nach Verwertbarem geschaut. Konnte dabei einige Daten festmachen. Anschließend durchsuchte ich meine weiteren Festplatten und fand noch mehr. So langsam entstand eine Liste mit Zeiten, in denen ich die Stadt besucht hatte. Was nicht irgendwo elektronisch lag, fand sich doch in einer hinteren Ecke meines Kopfes, und in meinen Notizbüchern, die ich seit 2004 führe und alle aufgehoben habe. Ein Archiv von unschätzbarem Wert! Durch diese beginnende Reise erinnerte ich ich mich an weitere Erlebnisse und kam dazu, in alten Fotoalben zu stöbern. Das Bild verfestigte sich, die Liste wurde immer länger. Erinnerungen…

So kann ich einen sehr ausführlichen Abriss über das Gewesene geben:
Bis 2014 fuhren meine Eltern in aller Regelmäßigkeit die knapp 600 Kilometer nach Dresden. Meist Mitte November um den leckeren Stollen zu holen und dabei Freunde und Verwandte zu besuchen – meist ohne mich. Meine Geschichte ist ein wenig anders.
Los ging es sehr wahrscheinlich im Mai 2002. ein erster Besuch in Dresden. Damals mit meinem alten Saab 900 und einer billigen Plaste-Kamera. Ich war damals auf sehr stark auf meiner Wessi-Arroganz-Schiene, auf der Schiene, alles Gewesene zu verleugnen. Gut 18 Jahre später verstehe ich langsam, dass ich damals mit Dresden noch lange nicht abgeschlossen hatte. Ich besuchte die Orte meiner Kindheit: Mein altes Gymnasium, die Innenstadt; Fotografierte viel von „damals“ und wollte doch abschließen. Es gelang nicht. Ich war noch zu sehr drin. Von Dresden ging es via Kiel nach Schweden. Auf der Rückfahrt besuchte ich nochmals die Region – einer meiner Cousins hatte Jugendweihe und ich spielte ein wenig Unterhalter. Kann mich noch erinnern, dass wir nach Altenberg zur Sommerrodelbahn fuhren, weil und die ganze Feier zu schnarchig war. Ich, gerade 20 und mit nem tollen Auto, meine Begleiter 17 und 14 Jahre alt. Was mir von damals in Erinnerung ist, ist eine unterbewusste Abneigung gegen die Menschen in meiner Familie. Und gleichzeitig die Freude, dass ich dort raus war, raus aus dem Mief.
Ob ich kurz darauf nochmals in Sachsen war, zum 75, Geburtstag meiner Oma, weiß ich nicht mehr. Kann auch sein, dass das erst 2 Jahre später beim 77. der Fall war, oder dass ich das mit ihrem 70. verwechsele, der 1997 war. Hier verwischen die Spuren.
Was ich aber sicher weiß ist mein zweiter Kurzbesuch in der Stadt Anfang Juni 2003. Damals übernachtete ich bei meinem besten Freund aus Gymnasialzeiten. Ich fuhr an dieser Schule vorbei und stattete meiner früheren Wirkungsstätte, der Parkeisenbahn, einen Besuch ab. Das Bild von meiner Schule betitelte ich mit „Dresden – das allerletzte Bild des EWG“. Zu dem Zeitpunkt war die Schule bereits geschlossen. Ich wagte auch einen „Ausbruch“ indem ich zum Collmberg nahe Oschatz fuhr. Und doch war ich innerlich noch ganz Dresdner. Ähnlich wie das Jahr zuvor war ich stark in den Orten und Erinnerungen meiner Kindheit verwurzelt. Ich wollt mit aller Kraft loslassen, aber ich konnte es nicht.
Noch hatte sich 2002/2003 recht wenig verändert. Die Frauenkirche wuchs langsam empor, auf dem Neumarkt entstanden erste Häuser. Am Postplatz stand noch der „Fresswürfel“.

Ob ich 2004 in Dresden war, weiß ich nicht. Die nächste Erinnerung datiert vom Januar 2005. Damals war Doppel-Geburtstag – meine Mutter und ihre Zwillingsschwester wurden 50. Wir feierten in einem Sportlerheim in Radebeul und waren in einer ziemlich schäbigen Pension in der Nähe untergebracht. Alles roch dort noch sehr nach längst vergangenen Zeiten – DDR. So auch die Menschen. Es war das letzte Mal, dass die gesamte Familie meiner Mutter zusammenkam. Am 23.11.2005 starb meine geliebte Oma an Lungenkrebs. Ich war zu dieser Zeit in Kiel und habe glücklicherweise ihren schnellen körperlichen Verfall nicht mitbekommen. 3 Tage später war ich zurück in Dresden. Das erste Klassentreffen stand an. 2005 war auch das Jahr in dem ich mir ein erstes Mobiltelefon (der Begriff „Handy“ hasse ich!) mit brauchbarer Kamera zulegte. Mit diesem hielt ich Eindrücke der Stadt fest, zu sehen auf den Bildern 1-4. Wieder war ich auf den Spuren meiner Kindheit, auf der Bismarckstraße am Milchwerk und an meiner alten Schule. Die westliche Bismarckstraße war genau jene trostlose Ödnis, die ich so lange gekannt hatte.

02_20051127 - Bismarckstraße, Höhe altes Milchwerk (vgl. Bild 56)

Auf dem Gelände des Milchwerkes entstand langsam ein Urwald. Meine Schule war leer.

03_20051127 - Prohlis, mein altes Gymnasium (vgl. Bild 22)

Es mag damals auch am Wetter gelegen, dass meine Stimmung nicht sonderlich war. Und doch war ich noch irgendwie gefangen in der Kindheit. Ich wollte zum touristischen Beobachter werden, aber es gelang noch nicht. 5 Jahre waren einfach zu wenig Zeit dafür.

Zeitsprung. November 2007. Mittlerweile hatte ich mein Studium aufgegeben, war aber vorher noch ein halbes Jahr in Göteborg gewesen und hatte meine Liebe zu dieser Stadt entdeckt. Also zurück in Heidelberg. Und abermals 2 Tage in Dresden; wieder zu Stollen-holen. Die einzige Erinnerung von damals ist mein Besuch im Stadtmuseum, dem alten Landhaus am Pirnaischen Platz. Von hier machte ich ein Bild der Landhausstraße mit Frauenkirche im Hintergrund. Rege Bautätigkeit prägte diese Zeit.

Gut 1 ½ Jahre später, Ende April 2009 folgte mein erster längerer Aufenthalt in der Stadt – 7 Tage von Samstag bis Samstag. Meine Aufzeichnungen verraten, dass das damals ein Mix aus Familie und Tourismus war. Stationen waren u.a. Altenberg, das Weißeritztal, der Zoo und die Standseilbahn, dazu die beiden Bismarcktürme „Fichteturm“ in Plauen und „Moreaudenkmal“ in Räcknitz. Die Bilder von damals finde ich leider nicht mehr, dafür sind die Erinnerungen recht lebhaft. Etwas, das ich damals erstmals bewusst gemacht habe, war die Nutzung der Straßenbahn um die Stadt zu erkunden. Ich liebe das städtische Nahverkehrsnetz noch immer und finde es eines der besten, die ich kenne. So langsam konnte ich loslassen. Bedingt war das vor allem durch die vielen Wohnorte, die ich in den zurückliegenden Jahren gesammelt hatte – Wilhelmsfeld/Heidelberg, Kiel, Göteborg, Karlstad. Meine Sicht auf die Welt und mein Erfahrungsschatz hatten sich sehr stark erweitert. Ich hatte nun neue „Heimaten“ gefunden. Der Drang, alles hinter mir lassen zu wollen und es doch nicht zu können – wie es noch 2002, 2003 und 2005 der Fall gewesen war – wich langsam einer inneren Ruhe und Distanziertheit. Ich begann zu beobachten und mich nicht mehr als Teil der Stadt zu fühlen. Ich hatte meine Kindheit ein Stück weit hinter mir gelassen und fühlte mich weniger als Dresdner denn als Weitgereister mit Wurzeln an mehreren Orten. Eben dies wird mir jetzt gerade beim Schreiben dieser Zeilen bewusst. Es blieb aber doch etwas. Es blieb eine leichte Arroganz und Überheblichkeit um mich abzugrenzen. Diese konnte ich noch immer nicht ganz ablegen.

Juni 2010. Was hat meine bis dato eindrucksvollste Reise mit Dresden zu tun? Ein bisschen was. Am 26.06.2010 stand ich am nördlichsten Punkt Europas – Knivskjelodden –, knappe 3 Wochen später erblickte ich das Pillnitzer Schloss

Diese einzigartige Barockanlage ist in der Rückschau zu einem wiederkehrenden Motiv geworden. Dazu später. Aus einem Telefon mit Kamera war eine recht ordentliche Kompaktkamera geworden. Ich wollte eigentlich für 2 Tage in der Stadt bleiben, doch verhagelte mir ein sehr unbequemes Bett in meiner Kleinzschachwitzer Unterkunft den Aufenthalt. Ziemlich zerknirscht verließ ich die Stadt.
… und kam doch knapp 3 Monate später doch zurück – zu meinem 10-jährigen Abitreffen am 02. Oktober. Ich erkundete abermals die Stadt. Dieses Mal schon eher aus touristischer Perspektive und mit einer großen Portion Neugier. Jahrelang hatte ich das Für und Wider der zu errichtenden Waldschlösschenbrücke mitverfolgt. Nun besuchte ich die Baustelle und hielt ein paar Eindrücke fest.

08_20101002 - Waldschlösschen, Baustelle der Waldschlösschenbrücke

Es entstand das für mich immer noch typischste Dresden-Bild: die weite Elbaue mitten in der Stadt mit einem Raddampfer der „Weißen Flotte“, dahinter die Albertbrücke mit ihren Bögen und als Blickfang die Kuppel der Frauenkirche. Links daneben die Kreuzkirche; dazu einige Kräne.

Wo ich mir dieses symbolträchtige Bild so anschaue, würde ich es gern bei besserem Licht wiederholen. Den Standort kenne ich. Was dagegen spricht ist, dass die Schiffe wohl kaum morgens, kurz nach Sonnenaufgang fahren – selbst im herbst nicht. Ich stelle mir dieses Bild in warmen Farben vor.
Wie bereits erwähnt fuhr ich am 03.10. mit dem Zug zurück. Auf dem Weg zum Bahnhof Neustadt blickte ich über die Marienbrücke zur Kuppel der Yenidze.

Noch so ein besonderes Bauwerk in der Stadt, zu dem ich erst in den letzten Jahren einen Zugang gefunden habe. Da fällt mir ein, dass ich Jahre vorher mal in diesem Bauwerk gewesen bin und die riesige Glaskuppel von innen bestaunt habe. Früher hatte ich die Silhouette dieser ehemaligen Zigarettenfabrik als etwas Selbstverständliches wahrgenommen. Erst jetzt wurde mir das Besondere langsam bewusst.
Auf dieser Reise von Ost nach West an einem historischen Tag begann es in meinem Kopf erstmals zu rattern. Es ratterte sehr stark aber so richtig greifen konnte ich das Alles noch nicht. Vielleicht hätte ich meine damaligen Gedanken doch aufschreiben sollen um sie heute – 10 Jahre später – nochmals zu lesen. Ich habe es nicht getan. Und doch hat es etwas in mir ausgelöst, hat einen Denkprozess in Gang gesetzt, der mich seitdem mal mehr, mal weniger begleitet und diesen Text erst möglich gemacht hat.
Ich hatte begonnen, mich zu emanzipieren. Gefühlt spielte Dresden ab diesem Zeitpunkt nur noch eine untergeordnete Rolle. Ich hatte andere Gegenden für mich entdeckt. Vor allem die Liebe zu Göteborg brach sich sehr stark Bahn; die Liebe zu Skandinavien im Ganzen. 2011 und 2012 folgten weitere Reisen in den hohen Norden Europas. Ich genoss erstmals die Mitternachtssonne und bestaunte Polarlichter. Und ich fühlte mich doch so langsam in Rhein-Neckar heimisch, auch wenn es eine Hassliebe blieb. Dresden war hingegen weit weg.

Es dauerte mehr als 2 Jahre, ehe ich zurück kam.
Aus einer Kompaktkamera war eine Spiegelreflex geworden. Nach einem Jahr mit der D90 begann im Januar mit meiner mittlerweile „alten Dame“ (Nikon D300s) für mich ein neues fotografisches Zeitalter. So langsam verpasste ich meinen Bildern Anspruch und ging weg von der einfachen Knipserei. Dokumentation und Beeindruckendes, beides bekam nun seinen Platz.

Auch dieses Mal war ich wieder im Rahmen der Stollen-hol-Aktion in Dresden. Ich erkundete weiter und ließ meinem Interesse für Technik freien Lauf. Den Freitagabend verbrachte ich in den Technischen Sammlungen an der Schandauer Straße in Striesen. Dort, im altehrwürdigen Ernemannturm des früheren Kamerawerkes Dresden entstanden abendliche Aufnahmen der Stadt – Bilder 10-13. Ich war mittendrin und doch über allem. Alle 4 Bilder zeigen die Vielfältigkeit der Stadt: offene Bebauung, Wald und die dichtere Bebauung Richtung Zentrum. Ein weiterer Blick von Außen. Ich wechselte immer stärker in die Rolle des Touristen und Beobachters.

Tags darauf wandelte ich erneut auf den Spuren meiner Kindheit. Im ehemaligen Kulturhaus des Sachsenwerkes Dresden hatte ich 1988 meine Schuleinführung gehabt.

Hier hatte sich erstaunlich wenig geändert und doch war nach fast 25 Jahren alles so anders.

Die Beobachterrolle verstärkte sich im März 2014 weiter. Nun war ich auf der Jagd nach Motiven und erkundete während mehrerer Tage die Sächsische Schweiz und das Elbtal. Ich suchte mir Plätze mit Überblick und begann meine Leidenschaft – die Nachtfotografie – verstärkt umzusetzen. Ein Bild, das dies perfekt zeigt, ist das folgende:

Entstanden am Bismarckturm in Radebeul, direkt neben dem sehr markanten Spitzhaus, zeigt es die Stadt bei Nacht. Im Vordergrund ist der Bahnhof Radebeul Ost zu erkennen, dahinter das Lichtermeer des Elbeparks, das ich schon etwas abgedunkelt habe. Langsam fliegt der Blick Richtung Zentrum. Es sind der Erlweintum und der Erlweinspeicher zu erkennen. Dahinter das klassische Dresden-Panorama mit Kreuzkirche, Rathausturm, Hausmannsturm, Hofkirche und Frauenkirche. Am Horizont steht die Strehlener Christuskirche und die vielen Treppenaufgänge der Prohliser Hochhäuser. Dieses Bild ist für mich so ikonisch, dass ich es als riesigen Abzug an meiner Wand hängen habe. Es vereint so Vieles für mich und lässt mich einen leicht verträumten Blich auf die Stadt bekommen. Von Nostalgie ist hier kaum noch eine Spur. Viel hatte sich nun geändert, vor allem mein Blick.

Im selben Jahr besuchte ich die Stadt nochmals. Am 20.11.2014 war ich zurück in Kleinzschachwitz; zurück am Schloss Pillnitz. Diese weitere Nachtaufnahme

besteht aus 5 kombinierten Einzelbildern unterschiedlicher Belichtung und zeigt die Anlegestelle der Fähre mit dem Wasserpalais im Hintergrund. Den Charme des Bildes habe ich erst jetzt entdeckt, beim Zusammenfügen und Bearbeiten des Bildes. Nostalgie und Festhalten an Erinnerungen spielten hier nur noch eine untergeordnete Rolle – einzig die Schönheit des Motivs zählte nun. Tags darauf hielt ich noch die nahegelegene Hosterwitzer Kirche „Maria am Wasser“ fest. Ich war nun endgültig zum Fotografen geworden.

Ziemlich genau zwei Jahre später besuchte ich die Stadt wieder. Ich begab mich auf die Spuren meiner ganz frühen Jahre, meiner Grundschulzeit. Im Bereich des alten Niedersedlitzer Rathauses parkte ich mein Auto und ließ die Gegend auf mich wirken. Was löste das in mir aus? Wenig, und doch so viel. Die Sosaer Straße war noch immer mit Pflastersteinen belegt, das Rathaus stand wie eh und je da – eine verspielte wuchtige Burg mit markantem Turm. Schräg gegenüber meine alte Grundschule. Der eher schmucklose Putzbau stand noch immer da. Und doch war einiges passiert. Das große Schulhaus und das nebenan befindliche kleinere Gebäude waren durch einen modernen Verbindungsbau zusammengewachsen.

Gerade an das Haus rechts habe ich noch Erinnerungen. Dort war vor 30 Jahren der Speisesaal gewesen in dem ich als Kind oft saß. Im Obergeschoss befanden sich ein paar Räume für die Nachmittagsbetreuung. Sehr viel Zeit verbrachte ich dort als kleiner Junge. Und doch war nichts mehr mit Sentimentalität; eher mit einem interessierten Blick und der Freude, dass das Gebäude-Ensemble noch immer besteht und dass es weiteren Kinder-Generationen den Start ermöglicht. Im danebenliegenden Hof zur Pfaffendorfer Straße war ein weiterer moderner Glasbau entstanden, der die frühere Größe des Schulhofes merklich verkleinerte. Aber die alte Sporthalle stand noch. Das traf leider nicht mehr auf den früheren Schulgarten zu. Noch bis Mitte der 2000-er Jahre hatten sich hier Beete befunden, nun war da ein kleiner Sportplatz. Trotz allem: Viel Bekanntes, wenig Neues und doch wenig Schmerz beim Anblick dieser, meiner, Gegend. Viel Distanz, viel Neugier, viel Freude, dass diese Gegend weiterhin lebt. Wobei von „Leben“ nur sehr eingeschränkt die Rede sein kann. Ich habe während dieses Besuches nur sehr wenige Menschen auf den Straßen von Niedersedlitz gesehen. Das hat sich auch in der darauffolgenden Zeit kaum geändert. Sorgt(e) bei mir für eine eher triste Grundstimmung.

Das folgende Bild ist wieder typisch für meinen fotografischen Blick auf die Dinge

Die Christuskirche am Abend. Das Spiel mit Linien und Farben. Entstanden an einer mir sehr vertrauten Ecke. Dort, schräg gegenüber war ich Anfang der 90er Jahre zu meiner Ausbildung bei der Parkeisenbahn gegangen und unzählige Male über Karcherallee und Rayskistraße zur Straßenbahn gelaufen. Nun parkte ich an der Ecke zur Wiener Straße und ließ den Abend auf mich wirken. Die Gefühle und Gedanken waren nicht mehr im Damals, sondern ganz im Hier und Jetzt.

Nun ist es auch Zeit für eine weitere kleine Anekdote, die sich über mehrere Jahre entwickelte und dazu beitrug, dass ich mich heute eher als Gast, denn als Zugehöriger fühle: meine Ortskenntnis. Ich war schon immer gut dabei, mir Straßen und Wege zu merken und konnte viele Strecken im Schlaf fahren. Komisch. Denn als Kind konnte ich doch gar nicht selbst fahren. Und doch hatte sich so vieles eingeprägt. Bei meinen ersten Besuchen mit dem Auto profitierte ich von diesem Wissen. Das war die Zeit ohne Navigationssysteme und Smartphones. Vor 15-20 Jahren hätte ich nicht einfach mein Telefon fragen können, wo ich gerade bin und es hätte mir den Weg zum Ziel gezeigt. Nein, damals gab es noch klassische Straßenkarten. Also vertraute ich auf meine Erinnerungen. Anfangs klappte das ganz gut, vor allem im vertrauten Südosten der Stadt. An anderen Stellen sah es hingegen mau aus. Gerade im Bereich nordwestlich der Altstadt hatten sich einige Straßenführungen geändert. Nix mehr mit der Achse Hamburger Straße – Schäferstraße um in die Stadt zu gelangen. Nun lief und läuft der Fernverkehr über Bremer und Magdeburger Straße. So war ich also vor gut 10 Jahren lost in Friedrichstadt. Alles irgendwie so unbekannt. Gerade weil ja da in dieser Zeit die Autobahn 17 dazu gekommen war und sich viele Wege in der Stadt änderten. Namen kannte ich, auch die Richtungen grob. Ganz besonders trifft das auf den früheren Weg in die Stadt zu – via Dohnaer und Teplitzer Straße; alternativ weiter Richtung Löbtau und Kesselsdorf über den Zelleschen Weg. Besonders markant war damals die Grüne Welle, sodass man recht schnell vorwärts kam. Das war aber das Eine. Das Andere war halt mein „lost in Friedrichstadt“-Erlebnis. Hier war ich nun froh, dass es Navigationssystem gab, die mich auf den richtigen Weg brachten. In den letzten Jahren – wenn ich denn mal mit dem Auto in der Stadt war – hat mir mein Telefon oder das eingebaute Navi im Auto gute Dienste geleistet. Es macht(e) Vieles einfacher. Auch wenn ich es immer wieder versuche, so recht kann ich meine früheren Ortskenntnisse nicht mehr abrufen; will es auch gar nicht mehr. Freue mich stattdessen, wenn ich neue Ecken entdecke. So sehr es Spaß macht, die schnurgerade Winterbergstraße Richtung Stadt zu fahren, so sehr genieße ich die Schwenks nach links und rechts und freue mich auf andere Dinge und Ecken. Das ist auch der Grund, warum ich lieber mit der Straßenbahn unterwegs bin, warum ich das bewusst mache und dadurch viel mehr sehe und wahrnehme. Ich bin jetzt Gast, bin Beobachter. Freue mich, dass ich noch so manches weiß. Das kommt besonders gut, wenn ich mit auswärtigem Kennzeichen in der Stadt unterwegs bin und so das Beste aus beiden Welten vereine: ich kenne einige Strecken und kann doch eher auf die Rücksicht der anderen Fahrer hoffen. Wobei: über die Autofahrer“kultur“ in der Stadt könnte ich einen eigenen Text schreiben.

Doch nun zurück zu meinen Reisen.
Wir sind im Dezember 2018 angekommen. Für mich ist es ein Teil des Jetzt. Die letzten 3 Besuche (Dezember 2018, Januar 2020 & Oktober 2020) gehören irgendwie zusammen. Sie stellen jede für sich einen teil meiner aktuellen Beobachtungen dar. Zudem sind sie dahingehend besonders, als dass meine Mutter nun wieder im Elbtal wohnt und ich damit einen Ort habe, an den ich reisen kann und von dem ich die Stadt besuchen kann.
Den Einstieg bildet dieses Bild:

mit dem Bahnhof Niedersedlitz. Er steht sinnbildlich für den Verfall der alten Bahngebäude; ist ein Zeugnis früherer Bedeutung und steht jetzt nur noch am Rande und verfällt. Ich hoffe sehr, dass aus diesem Gebäude noch etwas wird, befürchte aber den weiteren Verfall und einen Abriss in der Zukunft. Gleiches gilt für meine alte Schule.
Hier ist der Vorplatz auf dem ich an so vielen Morgen gestanden habe.

22_20181228 - Prohlis, mein altes Gymnasium (vgl. Bild 3)

Er wächst zu. Einige Fensterscheiben des Gebäudes sind mittlerweile zerstört.
Das nächste Bild fasst meine Stimmung damals und heute perfekt zusammen.

Die Steine werden langsam überwuchert und doch fühlt es sich tot an. Das Leben ist von diesem Platz gewichen. Beim Anblick stieg tiefe Trauer in mir auf. Ich bin gespannt, was aus dem Gelände werden wird.

Ganz anders die Innenstadt. Sie lebt, blüht auf, wird zum Ziel vieler Touristen; und doch sind da noch Überreste von früher.

Die blauen Fernwärmeleitungen (oder was das auch sein mag) ziehen sich durch die ganzen Innenstadt und sind auch am Postplatz sichtbar. So recht wollen sie für mich nicht in das Bild der wiederentstehenden Altstadt passen; sind eher Zeichen einer längst vergangenen Zeit. Die Bilder 25-27 sind mit meinem fotografischem Blick gemacht und zeigen das, was ist. Während dieser Reise nahm ich das volle Touristenprogramm mit: Altmarkt, Neumarkt, Frauenkirche, Verkehrsmuseum, Zwinger und die Brühlsche Terrasse. Klassisch.
Gerade an die Brühlsche Terrasse

habe ich Erinnerungen. Zu DDR-Zeiten war ich oft mit meinem Vater hier; meist zum 1. Mai. Der Platz war gefüllt mit vielen Menschen, die rote Mainelken trugen. Es ging vom Albertinum, zum Schlossplatz, vorbei an der Ruine des Ständehauses. Gerade dessen markanter Turm und der Kontrast zum verspielten, luftigen, der Hofkirche hat sich mir eingeprägt. Am Tag des Besuches war recht mieses Wetter und doch war die Terrasse voller Leben. Ein Künstler vollbrachte Meisterwerke aus Seifenblasen. So mochte und mag ich Dresden.

Das touristische setzte sich im Januar 2020 fort. Der Besuch der Standseilbahn war eine eher spontane Idee. Vor dem Hintergrund meiner damals exzessiven Nutzung des Heidelberger Gegenstückes (ich machte ein mehrmonatiges Praktikum im Schloss und fuhr täglich die eine Station mit der Bahn) wollte ich mal wieder mit dem Dresdener Gegenstück fahren. Auf dem Weg zum Körnerplatz entstanden erneut ein paar ikonische Bilder; vor allem der Blick vom Blauen Wunder ins Elbtal.

Mitten in der Stadt und doch weit weg von Urbanität.
Die kurze Fahrt auf den Weißen Hirsch und den wunderschönen Ausblick genoss ich mit allen Sinnen. Mein Fotografenherz schlug höher. Ein perfekter Ort für tolle Bilder bei tollem Licht. Und das, was ich an der Stadt so liebe: mittendrin sein und doch den Überblick haben.

Das nächste Bild erscheint auf den ersten Blick eher uninteressant und wie ein Foto, das eigentlich nicht gezeigt werden sollte. Und doch ist es besonders.

Am Altmarkt stehend wartete ich auf die Straßenbahn nach Radebeul. Dabei blickte ich in den Abendhimmel und erspähte unseren hellen Nachbarplaneten Venus. Diese rahmte ich passend mit den typischen Farben für Dresden ein – gelb und schwarz, an einer Bahn der Dresdner Verkehrsbetriebe.
Eine weitere Hommage an die DVB bildet dieses Motiv, das am selben Standort entstand.

Ich bin früher sooft mit der Bahn gefahren und mache es noch heute gern. Die alten Tatra-Wagen, die meine Kindheit prägten, sind vor vielen Jahren aus dem Stadtbild verschwunden und haben modernen Bahnen Platz gemacht. Kein Wehmut, sondern Freude, Freude über das riesige Straßenbahnnetz der Stadt.

Oktober 2020. Ich bin angekommen.
Dazu ein kurzer Einschub:
Seit etwa 2 Jahren folge ich sowohl auf Instagram als auch auch Facebook einigen Profilen, die sich mit Dresden beschäftigen. Von wenigen habe ich mich schnell wieder verabschiedet, da sie die Geschichte der Stadt verklären oder entsprechendes Klientel anlocken. Die anderen, „guten“ Seiten haben mir neue Einblicke gegeben und mich die Entwicklung der Stadt auch von Außen verfolgen lassen. Sie tragen dazu bei, dass ich langsam meinen Frieden mit meiner Vergangenheit schließen kann und die Stadt neu entdecke. Ausdrücklich empfehlen möchte ich hierbei ddpix und I-love-Dresden. Vor allem dank letzterer sind die Bilder von den Ausgrabungen am Ferdinandplatz erst möglich geworden.

Mein 20-jähriges Abitreffen nutzte ich für eine weitere Spurensuche. Das mulmige Gefühl, das ich noch im Januar gehabt hatte, als ich mit dem Zug von Riesa kommend gen Radebeul und Stadt fuhr war nur noch ganz schwach vorhanden. Beim Anblick des Elbtals hatte ich damals einen dicken Kloß im Hals gehabt. War doch die Strecke ab Radebeul West zu Kindertagen die Stammstrecke zu meiner Tante gewesen und mit vielen Erinnerungen verbunden. Dieses Mal war es anders. Es war Neugier, gepaart mit einer Portion Gleichgültigkeit. Kein Schmerz. Mit dieser Neugier – und nachdem ich einige interessante Einblicke per Instagram erhalten hatte – besuchte ich die riesige Grube zwischen Rathaus und Karstadt. Symbolisch dafür mögen die Mauerreste der Keller stehen.

Wo nach dem Krieg Jahrzehnte eine riesige Brachfläche war, kamen nun Mauerreste längst vergangener Zeiten zum Vorschein.
Das ließ mich kurz innehalten und mich zu dem kleinen Jungen werden, der in den 80er Jahren in der Stadt unterwegs war und ein markantes Bild vor Augen hat.

Soviel hat sich in 30 Jahren getan. Zu DDR-Zeiten wurden die Ruinen nur teilweise beräumt und es entstand eine neue Stadt auf dem Gebiet der Altstadt; eine neue Stadt die von vielen Freiflächen und großen, raumgreifenden Straßen geprägt war. Besonders deutlich ist das heute noch an der St. Petersburger Straße zu sehen, die wie ein brutaler Keil in die südöstliche Vorstadt geschlagen wurde. Sie vermittelt das Ideal des sozialistischen Städtebaus. Gleiches galt für die Prager Straße; eine weitläufige Betonwüste. In den letzten 25 Jahren hat sich hier viel geändert. Die Weite wurde durch viele Neubauten begrenzt. Und doch ist da sehr viel austauschbare Anonymität; ist das, bereits bemerkte, Verwischen der Spuren von früher. Gerade hier merke ich, dass des nicht mehr meine Stadt ist. Ähnlich wie auf dem Neumarkt mit seinen Neubauten im historischen Stil. Ich weigere mich hier sehr deutlich von „Wiederaufbau“ zu sprechen. Es ist keiner. Es sind moderne Gebäude mit Fassaden nach historischem Vorbild. Selbst die Frauenkirche ist ein moderner Bau, der nur auf historische Zeichnungen und Pläne zurückgreift. Alles ist neu und will doch alt wirken. Ich bin zwiegespalten. Irgendwie mag ich es und irgendwie auch nicht. Als früherer Dresdner mit den ganzen Erinnerungen ist es mir zu touristisch; zuviel Zuckerbäcker. Als Beobachter von außen, mit viel geschichtlichem Wissen und Interesse, ist da die Freude, dass die alte Innenstadt langsam wieder kleinteiliger wird. Ob sie schöner wird? Vielleicht. Gerade die vielen Kontraste zeichnen die Stadt aus.

Zurück ins Jetzt. Mit dem Bus fuhr ich raus nach Niedersedlitz. Dorthin, wo noch vor 20 Jahren die markanten Sternhäuser standen und ein belebtes Wohngebiet war. Heute ist dort nichts mehr. Die alten Straßenzüge existieren noch. Ansonsten ist viel Wiese.

Ich begab mich als wieder zurück in meine Kindheit und erkundete einen Teil meines alten Schulweges. Von der Reisstraße spazierte ich über die Bismarckstraße zum Bahnhof Dobritz.
Hier war ich nun vollkommen in Erinnerungen. Und doch gleichzeitig wie ein Fremdkörper, wie ein Beobachter, der alles in sich aufsaugt. Noch bis zu meinem Wegzug 2000 war dieser Straßenzug keine Schönheit. Er war von verfallenden Gebäuden geprägt; von Gebäuden, an denen der Zahn der Zeit sehr stark genagt hatte; war von Fabrikhallen und Baracken geprägt und von einer gepflasterten Straße und Fußwegen mit hellem, kleinem, Pflaster. Vor allem waren da die wenigen Wohn-Villen aus der Gründerzeit und dem frühen 20. Jahrhundert. Da war etwas trostloses, etwas, das nicht sehr einladend war. Eine typische Vorstadtsiedlung an der Eisenbahn; wohnen und arbeiten in einem. Davon war nun nur noch wenig übrig. Die Straße glänzt frisch geteert (was um 2008 geschehen sein muss), die meisten Häuser erstrahlen in neuem Glanz. Ich begann an der alten Bäckerei im Eckhaus.

Nach jahrzehntelangem Verfall tut sich hier nun endlich etwas.
Die Baracken gegenüber sind längst verschwunden und haben kleinen Häusern Platz gemacht.

Die Gebäude des früheren Kamerawerkes sind saniert.

Und doch ist da eine Ecke, die mir das Herz bluten lässt. Das Eckhaus Bismarckstraße/Am Feld 2.

Hier hatten wir Anfang der 90er Jahre begonnen eine Wohnung auszubauen. Diese lag im Geschoss mit der Erker. Das Haus wird langsam zur Ruine und verfällt. Die weiteren Bilder zeigen Details dieses Verfalls:

Es ist einfach nur traurig. Früher hatte ich hier Spielkameraden, mit denen ich den umliegenden – längst verschwundenen – Schutt erkundete, in einer riesigen Kabeltrommel eine Bude baute und wir mit unseren BMX-Rädern umherfuhren. All das ist Geschichte. Die alten Fabrikgebäude längst abgerissen. Nur die Garagen, die Ende der 80er über den Betrieb meines Vaters in Eigeninitiative errichtet worden waren, stehen noch, sind aber nicht mehr zugänglich. Trauer, Wehmut. Und doch eine gewisse Distanz. Das war damals, heute bin ich nur noch Gast und Beobachter; dokumentiere das, was ich sehe.

Gleiches gilt für mein ehemaliges Wohnhaus „Am Steingarten 3“.

Alles neu und doch so vertraut. Es ist modernisiert und wird von anderen Menschen bewohnt. Der riesige Garten ist kaum wiederzuerkennen. Völlig anders gestaltet wächst er langsam zu. Die benachbarte große Trafostation wurde vor Jahren abgerissen.
Hier die Hofansicht:

Welche Gedanken kamen mir bei diesem Anblick? Ich habe in einer ziemlichen Ödnis gewohnt. Ich war mitten in der Stadt und doch am Rande; war im großen, leblosen, Nichts. Das illustriert auch das folgende Bild.

Vom Milchwerk sind nur noch ein paar Platten des großen Parkplatzes geblieben. Stattdessen findet sich hier Kleingewerbe und viel Brachland; vor allem Brachland. Alle Gebäude und der „Urwald“ aus dem Jahre 2005 sind weg.
Überlebt hat der Neubau des Milchwerkes aus den späten 80er Jahren, der seit Mitte der 90er ein Möbelhaus beherbergt. Hier ging bzw. fuhr ich jahrelang zu meinem Gymnasium.

Hier der Blick zurück Richtung „Am Steingarten“.

56_20201002 - Bismarckstraße, Höhe altes Milchwerk (vgl. Bild 2)

Wie bereits erwähnt, wurde die Straße vor Jahren komplett erneuert. Die Pflastersteine, deren Geräusch sich in meinen Kopf gebrannt hat, wichen frischem Teer. Auch die Fußwege wurden erneuert – nur nicht hinter meinem früheren Wohnhaus. Dort blieb es bei komprimiertem Sand. Viele alte Bäume sind verschwunden.
Das alles sorgt bei mir nur noch für wenig Wehmut. Stattdessen ist da diese Gleichgültigkeit.
Ich weiß, dass das ein Teil meiner Geschichte und meines Lebens ist, aber ich habe das hinter mir gelassen; habe damit abgeschlossen. Die Erinnerungen bleiben, werden aber vom dokumentierenden Beobachter überlagert. Da ist eher der Wunsch, dass in diese Gegend ein bisschen leben kommen mag, dass die vielen Freiflächen langsam verschwinden mögen und im Zuge des Stadtwachstums erschlossen werden.
Ich bin nicht mehr der kleine, ängstliche, Junge, der immer mit etwas Unwohlsein seinen Schulweg ging. Ich bin der gereifte erwachsene Mann, der das alles mit einer gesunden Portion Distanz sieht und sich über das Neue freut.

Geblieben ist hingegen die Bowlinghalle „Joe’s“ an der Mügelner Straße.

Geblieben sind auch die Bürgerhäuser an der Eisenbahn im Bereich der Altstadt.

Das Stadtpanorama hat sich gewandelt. Die Kuppel der Frauenkirche ist (wieder) da.

Am 03. Oktober war ich im Niedersedlitzer Dorfkern unterwegs. Ich konnte einen Blick auf die wunderschöne Villa erhaschen, in der früher mein Kindergarten war und die noch heute eine Kindereinrichtung beherbergt. Ich war regelrecht verblüfft, meine alte Schwimmhalle in der Lugaer Straße zu sehen.

Dort hatte ich als kleines Kind schwimmen gelernt. Noch vor 10 Jahren verfiel sie. Jetzt ist sie modernisiert und beherbergt Wohnungen.
Auch der alte Dorfanger ist saniert und von vielen kleine Brücken über den Lockwitzbach geprägt.

Nur noch wenige Häuser erinnern an damals. Zwei größere Ruinen finden sich zwischen Pfaffendorfer und Bahnhofstraße. Alles andere ist saniert, vor allem die vielen kleinen, meist Würfel-förmigen Mietshäuser aus der Gründerzeit.

Als letztes ging es zurück nach Pillnitz. Mit der Fähre über die Elbe und hinein in den Schlosspark. Wie oft war ich als kleines Kind dort unterwegs gewesen. Wie groß erschien mir die weitläufige Anlage. Nun genoss ich es zurück zu kommen und die Schönheit und Einzigartigkeit des Parks und der Schlossanlage zu genießen.

Hier endet nun meine Reise vorerst.

Aber da sind noch zwei Dinge, die ich nicht unerwähnt lassen möchte:
1. Was ist für mich sonst noch „typisch Dresden“?
Zwei Dinge: die Fußwege aus Lausitzer Granitplatten

… und die Betonmülleimer aus DDR-Zeiten.

Erstere bestimmen noch immer weite Teile der Innenstadt und sind wunderbare Stolperfallen, letztere verschwinden langsam aus dem Stadtbild.

2. Ich bekam in den vergangenen 20 Jahren oft die Frage, ob ich denn wieder zurück nach Dresden gehen würde. Anfangs verneinte ich dies sehr bestimmt, konnte es aber nicht begründen. In den letzten Jahren habe ich meine Gründe erkannt und kann ruhig behaupten, dass eine Rückkehr sehr unwahrscheinlich ist.

Ich bin einen langen Weg gegangen und kann nun entspannter zurückblicken als noch vor 10-15 Jahren. Ich mag die Stadt und doch fühle ich mich ihr nur noch wenig verbunden. Meine Heimat ist Heidelberg, mein Herz hängt an Göteborg. Dresden bietet viel zum Entdecken und eine wunderschöne Gegend. Dresden ist ein Teil meiner Geschichte, wird es immer bleiben und ist doch nur noch im Hintergrund.

Vielen Dank, dass Ihr meinen Text gelesen habt.
Bis bald.

— SnusTux|René M. – 11/10-2020