Auf dem Weg des Wassers kehren wir zurück nach Jämtland. Die wilde Fjällreise durch Schweden geht weiter und führt uns innerhalb von drei Tagen gute 400 Kilometer nordwärts ins scheinbare Niemandsland. 

Es ist der Nachmittag des 23.06.2011. Nahezu spiegelblank liegt der See vor mir. Über mir ziehen langsam die Wolken, und die recht kräftige Sonne erhellt die Landschaft. Es ist unheimlich ruhig, friedlich. Während ich meine Blicke kreisen lasse fällt mir ein rot-weißes Fischerboot auf, das verlassen im See liegt; als ob es jemand vergessen hätte. In der Ferne die sanften Berge des Fjälls. 

Seit dem rauschenden Wasserfall sind gerade einmal drei Tage auf der langen 2011-er Reise vergangen Ich habe mittlerweile Härjedalen hinter mir gelassen und bin in Jämtland unterwegs. Eine dieser Überführungsetappen, die gemächlich vonstatten gehen soll. Nur das Ziel ist bekannt. Zudem habe ich mir vorgenommen, abseits der großen Straßen zu bleiben und den Inlandsvägen (die Europatraße  45, die das schwedische Binnenland von Süden – in Göteborg – nach Norden – die finnische Grenze bei Karesuando – durchzieht) weitgehend zu meiden.
Es ist ein besonderer Tag, Donnerstag vor dem inoffiziellen schwedischen Nationalfeiertag Midsommar. Das bekomme ich gleich zu Beginn sehr deutlich mit. Ich starte in Östersund und will  ich nur noch mit ein paar Kleinigkeiten für die kommenden Tage eindecken. Der Parkplatz des hiesigen Systembolaget (staatlicher Alkoholladen und die einzige legale Möglichkeit an Hochprozentiges zu kommen) ist sehr gut gefüllt. Mit Bier und Schnaps vollgeladene Einkaufswägen kommen mir entgegen. Deren Inhalt wird sorgsam in große Kombis verladen.
Alsbald verlasse ich die Großstadt im Nirgendwo und fahre nordwärts. Ich möchte den Fiskevägen erkunden, der sich von Krokom bis hinter Valsjöbyn erstreckt. In meinen Aufzeichungen von damals vermerke ich folgendes dazu:
“Ab Krokom beginnt wieder ein Themenweg. Nach Klarälvenvägen und Kopparleden nun Fiskevägen nach Valsjöbyn. In Krokom 18° und Wolken. Kilometer schrubben bei Tempomatfahrt. Zwischendurch einige (Foto-)Pausen. Bei der ersten wird die Hantel auf ihre Tier-Tauglichkeit getestet. Scheint selbst bei schnellen Vögeln zu passen.”

Gysen, Lachmöwen

Die Lachmöwen sorgen mit ihrem dauerhaften Gekreische für eine unwirkliche Geräuschkulisse.

Und doch ist so erholsam, abseits der großen Wege unterwegs zu sein und immer wieder Neues zu entdecken; Pausen zu machen; die Natur zu genießen. All das ohne großen Zeitdruck. Gerade dieser Tag ist mit seinen insgesamt weniger als 300 Kilometer Strecke wie dafür gemacht.
Ich erlaube mir einen längeren Abstecher auf eine schmale Straße, die bald zu einem Grusväg wird und mich noch weiter weg vom Getöse der Großstadt bringt – mitten hinein in eine wunderschöne Fjäll-Landschaft mit weiteren Seen.

Bald nach der Rückkehr auf den Fiskevägen bei Häggsjövik entdecke ich in der Ferne eine kleine weiße Kirche scheinbar mitten im See und suche mir eine Platz zum Halten.

Hotagen, See und gleichnamige Kirche

Im nahezu ruhigen Wasser spiegelt sich die Landschaft.
Und noch etwas spaziert mir währenddessen vor die Linse. Dazu vermerke ich in meinem Reisetagebuch:
“Während ich meine Speicherkarte mit Bildern derselben [=der Kirche] befülle, entdecke ich auf einem kleinen Stein im See einen Vogel – einen Flussuferläufer (auf schwedisch: Skogssnäppa). Dieser spaziert auf seinem Stein hin und her und zwitschert recht wild. Wegen des ruhigen Wassers ergeben sich dabei sehr amüsante Spiegelmotive.”

Hotagen, Flussuferläufer

Ich spaziere ein bisschen am Ufer entlang und sehe einen besonderen Auswuchs der Natur. Ein umgefallener Baustamm ragt ins Wasser und auf diesem wachsen kleine neue Bäumchen. Das Ganze gespiegelt.

Hotagen, Uferlandschaft

Die Fahrt geht weiter entlang des Sees. Kurz hinter der Kirche halte ich erneut – und entdecke dieses kleine rote Boot im Wasser. Ein perfektes Fotomotiv für den Tag.

Der See Hotagen ist ein wahres Kleinod und sehr weit ab von größeren Orten. Deshalb hier der kleine Willkommensgruß, der am selben Standort wie das Kalenderbild entsteht:

Hotagen, Übersichtstafel

Den, auf der Tafel verzeichneten, Wasserfall – Hasslingsåfallet – besuche ich wenig später. Ich halte auf einem Parkplatz in der Nähe und möchte Euch die folgende kleine Anekdote nicht vorenthalten:
“Überall finden sich Bären-Warntafeln. So mache ich mich mit etwas mulmigem Gefühl auf zum Fall, immer schön durch die Mückenschwärme. Es lohnt sich, wenngleich der Durchfluss recht gering ist. Ohne Bärenbegegnung wandere ich zurück zum Auto. Beim Einpacken verstaue ich auch ein Souvenir der besonderen Art: eine MÜCKE. Diese begleitet mich die nächsten gut 20 Kilometer. Währenddessen bearbeitet dieser kleine Stecher die nicht-eingegifteten Hautpartien. Zweimal ist sie erfolgreich. Hinter Valsjöbyn schlägt dann deren letztes Stündchen. Bei einer sonnigen Fotopause wird sie gekillt.”

Fische sehe ich während der gesamten Strecke keine – trotz des Namens der Themenroute. Gut, ich blicke auch nicht ins Wasser der vielen Seen und mache mir auch meine Füße nicht nass. Gelohnt hat sich der Ausflug abseits der E45 unbedingt.
Nach einem kurzen Abstecher durch Norwegen – die Grenzübertritte Nummer Vier und Fünf dieser Reise – komme ich langsam auf meinem eigentlichen Ziel an. (Ja, das “auf” ist beabsichtigt.) Es ist kein bestimmter Ort, sondern eine weitere Themenroute. Vildmarksvägen. Dazu erzähle ich Euch in einer späteren Kalendergeschichte mehr.

Ich lasse den Tag an einem weiteren kleinen See – Björkvattnet – ausklingen. Mitten im Fjäll. Ruhe.

Hier die technischen Daten zum Bild:
Datum & Uhrzeit: 23.06.2011, 15:25 Uhr
Kamera: Nikon D90
Objektiv: Nikkor 18-105 VR
Brennweite: 18mm
Blende: f/8
Verschlusszeit: 1/1000s
ISO-Wert: 200
Die Nachbearbeitung ist eher dezent und hebt Farben und Kontraste hervor.

Im Juli entführe ich Euch aus Schweden in den Süden Skandinaviens zu Kreidefelsen an der Ostsee.

Bis dahin,

— SnusTux|René M. – 01/06-2021

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