Wasser? Gibt es auch hier wieder.
Allerdings sind wir knapp 800 Kilometer südlicher.

Sonntag, der 28.06.2015, gegen Mittag. Eine sonniger Sonntag, ein warmer Sonntag. Ein Brise sorgt für etwas Abkühlung, die Höhe von knapp 2.000 Metern tut ihr Übriges.
Ein kleiner Bergsee, dahinter grüne Felswände und über allem Sommerwolken; ein paar Schneereste und Geröllhalden lockern das Bild auf. Wanderer sind unterwegs. Ich bin etwas abseits der Menschenmassen und beobachte.

Und damit willkommen im südlichsten Zipfel Deutschlands. Willkommen im Hochgebirge und zu einer Gratwanderung.
Ich bin auf einer langersehnten Reise. Nach über 10 Jahren zieht es mich wieder in die Alpen. Drei Tage zuvor fahre ich entspannt, und Autobahnen weitestgehend meidend, nach München um Freunde zu treffen. Es wird ein langer und nicht ganz nüchterner Abend.
Tags darauf entfliehe ich der zu großen Stadt und erkunde das südwestliche Umland. Vorbei am Starnberger See geht es zu den Bergen. Unterwegs bieten sich immer wieder schöne Fernblicke, die die Sehnsucht nähren. Einen ersten längeren Stopp mache ich in Schwangau an der St.-Coloman-Kapelle. Will doch mal sehen, wohin Jahr für Jahr Menschenmassen pilgern – hierhin:

Ein unscheinbares Märchenschloss in den Bergen

Neuschwanstein also. Von der Ferne wirkt es eher klein; wird nahezu erdrückt von den Bergen dahinter und ist garnicht so majestätisch wie auf vielen Bildern.
Ich fahre weiter, nähere mich langsam dem Touristen-Magneten. Und ziehe ob der brechend vollen Parkplätze bald weiter. Via Füssen erreiche ich kurz darauf den Lech und schwenke nach Süden, nach Österreich. Der obligatorische Tankstopp in Reutte folgt und schon bald bin ich mitten in den Alpen. Endlich! Zeit ein paar Kurven zu räubern und Höhe zu gewinnen – dabei das Tagesziel vor Augen behaltend. Also hinauf über den Gaichtpass ins Tannheimer Tal. Ein bisschen Fjällgefühl kommt auf bei der Einfahrt in dieses malerische Hochtal, umringt von stattlichen Gipfeln. Diese aber eher spitz und steil, statt Gletscher-gerundet. Die Österreich-Episode endet alsbald und es geht wieder abwärts nach Bad Hindelang und Sonthofen. Rauf auf die Touristen-Autobahn B19 nach Oberstdorf.
Dort habe ich einen Zeltplatz ausersehen, auf dem ich meinen Stoffburg aufschlage. Noch ein paar Besorgungen erledigen und ein bisschen die Gegend erkunden eher der Tag zuende geht. Ich sauge die Alpenluft in mich auf und genieße. Noch hält sich der Sommer zurück und es ist einigermaßen erträglich in meinem Zelt.

Zeit, die kommenden Tage zu planen. Der Samstag soll eher durchwachsen werden, der Sonntag sonnig. Also Samstag im Auto, Sonntag in der Höhe.

Es ist ein grauer Morgen. Ich schnappe meine Sachen und fahre in die Ortsmitte. Von dort spaziere ich ein bisschen durch Oberstdorf. Erstaunlich wenig los in dem Kurort am Ende der Republik. Der Ort, der sooft in den Median auftaucht, gerade in Zusammenhang mit Wintersport. Und das muss ich fotografisch festhalten.

Schattenbergschanzen in Oberstdorf

Ja, es ist grau und trüb. Und die Anlage, auf der alljählich die „Vier-Schanzen-Tournee“ startet wirkt etwas einsam und verloren. Doch das ist mir sehr recht, bin ich doch eher weniger ein Freund großer Menschenmassen. Ich schlendere noch ein bisschen durch den Ort und kehre alsbald zu meinem Fahrzeug zurück. Ab ins Kleinwalsertal. Mal schauen, wie es in diesem besonderen Tal aussieht, das zwar zu Österreich gehört, aber nur über Deutschland zu erreichen ist.
Ziemlich dicht bebaut und voll auf Tourismus ausgelegt schmiegen sich die unzähligen Häuser an die Hänge der beiden Talwände. In Baad ist Schluss. Ab hier geht es nur noch zu Fuß weiter. Bei leichtem Regen starte ich, kehre aber bald wieder um, da die Gratis-Dusche stärker wird. Also gemütlich zurück zum Zelt.

Was soll ich mit dem restlichen Tag anfangen? Naja, da ist noch ein weiterer Grund, warum ich gerade hierher gefahren bin. Ich will mich auf die Spuren des Saab-Treffens von 2003 begeben. Dieses beinhaltete auch eine Rundfahrt um den südlichsten Zipfel Deutschlands. Entgegen der damaligen Routenführung von Osten und im Uhrzeigersinn – über Kempten/Füssen/Reutte – starte ich nach Westen und gegen den Uhrzeigersinn. Über Deutschlands höchste befahrbare Pass-Straße, den Riedbergpass auf 1407 Metern, geht es nach nach Hittisau in Vorarlberg. Von dort noch weiter nach Westen, ehe ich gen Süden in ein enges Tal abbiege. Hier verabschiedet sich das GPS für eine Weile. Kurvig geht es bergan während es dauernieselt. Ich erreiche den Hochtannbergpass auf gut 1670 Metern Höhe und mache Pause. Ich bin mitten in den Hochalmen. Überall Weideflächen und Glocken-behängte Kühe.

Alpengruß vom Hochtannbergpass

Erinnerungen an 2003 werden wach. Genau so hatte ich die Gegend abgespeichert – als weites, grünes Hochtal. Ich genieße, bin fast allein.
Hinter Warth erreiche ich erneut den Lech, der hier als tosender Gebirgsbach bergab strebt.
Vom Lech ab befahre ich ein weiteres Mal den Gaichtpass und das Tannheimer Tal und komme bald darauf an meinem Zelt an. Ein langer Tag geht zuende.

Die Sonne weckt mich recht früh, der Berg ruft! Mit dem Auto geht es in ein kleines Seitental zu einer Kabinenbahn.

Fellhornbahn

Lang ist es her, dass ich mal mit einer Kabinenbahn gefahren bin. Das muss mitte der 90-er in Südtirol gewesen sein. Damals stellte ich auf der Grawand auch meinen immer noch gültigen, persönlichen, Höhenrekord von gut 3.200 Metern auf.
Ist wirklich sehr ungewohnt in dem leicht schaukelnden Ding nach oben zu fahren. Um ganz rauf zu kommen muss ich in eine weitere Kabinenbahn umsteigen. Nach einer Weile bin ich oben und erklimme die letzten Meter zum Fellhorn. Bin dabei nicht allein. Auf dem schmalen Gipfelgrat tummeln sich sehr viele Menschen.

Fellhorngipfel

Trotz der sonntäglichen Völkerwanderung kann ich den Ausblick etwas genießen und ein paar Impressionen einfangen. Es fühlt sich etwas merkwürdig an, bin ich doch im wahrsten Sinne des Wortes Grenzgänger. Links von mir ist Österreich, rechts Deutschland. Der Grat markiert die Staatsgrenze zwischen beiden.
Mein Blick schweift über grüne Wiesen ins Kleinwalsertal und zu weiteren Alpengipfeln. Ich beobachte die Wanderer, die über den schmalen Pfad gen Norden ziehen.

Gratwanderung

Ich bestaune die vielen bunten Wiesen. Nicht umsonst trägt das Fellhorn die Bezeichnung „Blumenberg des Allgäus“. Überall blüht es.

Bergblumen

Sehr lange halte ich es dann aber doch nicht in diesem dichten Gedränge aus. Es geht zurück zur Umsteige-Station. Dort entsteht das Kalenderbild für diesen Monat. Ich spaziere zum Schlappoldsee, der im Schatten des Fellhorns liegt. Ein letzter Blick zurück zum Gipfel.

Fellhorn & Schlappoldsee

Leicht schaukelnd geht es zum Auto zurück.

Ich schaue noch bei der örtlichen Skiflug-Schanze vorbei, ehe ich zum Zelt zurückkehre.
Es ist warm!
Den Nachmittag lasse ich mit einem Besuch des Iller-Ursprungs ganz in der Nähe ausklingen.

Tags darauf verlasse ich Oberstdorf und ziehe nach Bregenz weiter. Die Hitze verkürzt meine geplante Tour immens. Trotzdem besuche ich noch den Pfänder und erklimme die Silvretta-Hochalpenstraße.

Hier sind die technischen Daten zum Bild:
Datum & Uhrzeit: 28.06.2015, 12:44 Uhr
Kamera: Nikon D300s
Objektiv: Sigma 17-70 
Brennweite: 17mm
Blende: f/8
Verschlusszeit: 1/250s
ISO-Wert: 200

Auch im August geht es hoch hinaus – allerdings in einer ganz anderen Ecke der Republik

Bis dahin,

— SnusTux|René M. – 01/07-2022 (26.06.2022)

PS: Ich schreibe diesen Text an meinem einzigen freien Tag der Woche. Die Arbeit bestimmt derzeit alles. Und doch ist diese Zeit – ist dieser Tag (26.06.) – etwas ganz besonderes für mich. Am Freitag war in Schweden midsommar und heute vor genau 12 Jahren stand ich gegen 17:35 Uhr am nördlichsten Punkt Europas, am Knivskjellodde. Ein kleiner Gedankenausflug vom stressigen Alltag, der gerade sehr gut tut. Passt auf Euch auf!