Vom Wasser zum Wasser reisen wir über 550 Kilometer nach Süden.

Samstagvormittag, kurz nach 10. Es ist ein frühsommerlicher 26. Mai 2018. Plätschern, Insektengeschwirr. Eine Komposition aus Grün und Blau. Leichte Wolkenschleier am Himmel, hohes Gras. Dazwischen die Regnitz, flankiert von 2 besonderen Holzbauen. Rumpeln…
Ruhe.

Für mich ist diese Gegend noch Neuland. Kaum ein halbes Jahr vorher besuche ich sie erstmals. Nun habe ich mir ausgiebiges Auskundschaften vorgenommen. Der zentrale Ort ist Nürnberg, was in mir gemischte Gefühle auslöst. Eine Stadt voller Geschichte.

Zwei Tage vorher reise ich an und suche mir ein Quartier mitten in der Stadt. Geplant ist eine Reise in die jüngere deutsche Vergangenheit. Nürnberg – „Stadt der Reichsparteitage“ – Stadt des nationalsozialistischen Größenwahns. Diesen möchte ich erkunden. So steht der Freitag ganz im Zeichen vergangener Großmachtträume. Ich parke am Luitpoldhain und spaziere zu einem wuchtigen, mit hellem Garnit verblendetem, Bauwerk, das nur durch etwas Glas und Metall in seiner historischen Wirkmächtigkeit aufgebrochen wird. Und doch erscheint es hinter Bäumen kaum aufzufallen. Es ist die alte Kongresshalle. Mein erster Weg führt mich in den Innenraum. Er ist riesig und kahl. Ich fühle mich verloren darin – so klein und unbedeutend. Das wird noch durch die Fassade verstärkt. Unmengen roter Ziegel bestimmen das Bild. Daraus ragen die Überreste der Stützkonstruktion für die geplanten Zuschauerränge und das Dach. Größenwahn pur.
Nachdem ich die Außenanlage auf mich wirken lassen habe, begebe ich mich ins Innere. Seit einiger Zeit findet sich im Nordwestflügel das „Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände“. Ich werde von Informationen förmlich erschlagen und schaffe es nur schwer, das alle zu begreifen – zu begreifen wie wahnsinnig die Machthaber in den 1930-er Jahren waren; wie sehr sie das Individuum der Masse unterordnen wollten und wie sehr sie ihre Macht in Stein und Beton manifestieren wollten.
In dem erdrückenden und dunklen Wirrwar führt ein lichter Steg zu einer Aussichtsplattform, die den Blick auf den Innenraum freigibt. Nun erblicke ich das alles von einer leicht erhöhten Position.

Innenraum der Kongresshalle

Die Zeit vergeht rasend schnell.
Schon bald erkunde ich die Außenanlagen zu Fuß. Das gestaltet sich schwieriger als gedacht, beginnt doch in wenigen Tagen das Musikfestival „Rock im Park“. So ist die riesige Aufmarschmeile „Große Straße“ in Teilen gesperrt. Die Ausmaße erschließen sich so kaum. Ich spaziere am Dutzendteich entlang, der von vielen Zeltdörfern flankiert ist. Weiter zum Zeppelinfeld, mittlerweile eine Sportstätte samt Start-/Zielbereich für den Norisring.
Schon bald kommt die riesige Haupttribüne in mein Blickfeld.

Zeppelintribüne

Ich fühle  mich an NS-Propaganda-Filme der 1930-er Jahre erinnert. Auf dem vorgeschobenen Protest standen all die Größen der Diktatur – allen voran der „Führer“. Während ich näherkomme tönen in meinen Ohren die Hetztiraden, die von diesem Platz herausgeschrieen wurden. Ich erklimme die Stufen. Stehe bald selbst auf dem Podest. Und ich fühle mich für einen Moment erhaben und doch elend. Überblicke das Zeppelinfeld; halte einen Moment inne. Bilder schwirren vor meinem inneren Auge umher, dazu ein Stimmengewirr. Und doch bin ich fast allein hier.

Ich ziehe weiter; vollende die Runde um den Dutzendteich. Es wird wieder belebter. Sonnenhungrige und Festivalbesucher füllen die Wiesen. Bald trotte ich zum Auto zurück; den Kopf voller Eindrücke.
Informationen zum Gelände gibt es hier und hier. Meine Fußrunde findet Ihr bei Komoot.

Tags darauf. So richtig schlafen kann ich nicht, zu sehr wirkt der Tag nach. Und doch möchte ich weiter entdecken. Von meinem neuen Quartier in Erlangen starten mein „Reiseführer“ und ich zu einem Tagesausflug.
Erste Station ist Möhrendorf. Unweit der Autobahn 73 findet sich ein historisches Kleinod.

Infotafel „Wasserschöpfräder Möhrendorf“

Und schon bald erblicken wir das erste, dieser Bewässerungssysteme – zugleich das größte. Es ist das „Vierzigmannrad“ auf der östlichen Regnitzseite.

Vierzigmannrad

Und es hält eine kleine, ironische, Überraschung bereit. Ich nenne sie liebevoll „Bierkühlung auf Fränkisch”. Schaut selbst:

„Bierkühlung auf Fränkisch“

Anstatt die umliegenden Felder zu bewässern – wofür die Räder früher vorgesehen waren – fließt das kühle Regnitz-Nass auf einen Kasten fränkischen Bieres. Clever. Und bei den erwarteten Temperaturen eine sehr praktische Lösung.

Wir spazieren weiter. Durch den dichten Uferbewuchs erblicke ein weiteres Rad – das „Rinnigrad“. Im Gegensatz zum ersten Rad nur mit Schöpfeimern an einer Seite. Sieht schon etwas verträumt aus, wie es da so steht und sich langsam dreht.

Rinnigrad

Als Drittes im Bunde ist da noch das „Schmiedsrad“ – zugleich Kalendermotiv für den Mai. Hier lässt sich gut die Funktionsweise dieser technischen Denkmäler erkennen. Der leicht angestaute Fluss treibt Schaufelbretter an, die das Rad in Bewegung halten. Auf einer oder beiden Seiten schöpfen Kümpfe das Nass und geleiten es über Holzrohre zu den Feldern. Weitere Informationen dazu findet Ihr hier.

Ich liebe es jetzt schon. Unterdessen setzen wir unseren Ausflug fort und erkunden die „Fränkische Schweiz“ mit ihren engen Tälern, pittoresken Dörfern und Städtchen und unzähligen Aussichtspunkten. Ein guter Start in die Erkundung einer, mir bisher gänzlich unbekannten, Gegend.
Ich werde sie in den darauffolgenden Jahren noch oft besuchen.
Danke an meinen „Reiseführer“.

Hier sind die technischen Daten zum Bild:
Datum & Uhrzeit: 26.05.2018, 10:07 Uhr
Kamera: Nikon D300S
Objektiv: Sigma 17-70 OS
Brennweite: 17mm
Blende: f/8
Verschlusszeit: 1/250s
ISO-Wert: 200

Im Juni geht es wieder zurück an die Küste – zurück in eine meiner alten Heimaten.

Bis dahin,

— SnusTux|René M. – 01/05-2022 (26.04.2022)